ÄGYPTOLOGIE: Wissenschaft im Alten Ägypten, Teil 1

header_egy_wissenschaft1.jpg


Liebe Ägyptologie-Begeisterte! ;) Mit diesem Artikel möchte ich anfangen, die deutsche Steemit-Gemeinde auch mit einbißchen Archäologie-Wissen zu "versorgen" und hoffe, dass ich damit noch mehr Leute "anstecken" kann, die sich für antike Geschichte in Ägypten und dem Vorderen Orient interessieren. Ich werde nach und nach einige meiner bisher in Englisch erschienen Artikel zurück ins Deutsche übersetzen und ab sofort auch neue Beiträge immer in zwei Sprachen anbieten. In diesem Blogpost starte ich mit der Serie "Wissenschaft im Alten Ägypten" und da dies ein weites Feld ist, teile ich auch diese Serie in mehrere Teile auf, damit es halbwegs übersichtlich bleibt, denn es gibt viel zu sagen, wenn es um die altägyptische Technolgie geht.

Hier wird es also nun um

• Astronomie und Kalenderwesen sowie
• Mathematik und Metrologie

gehen.

Astronomie

Sirius und Orion, Foto der NASA, Public Domain Quelle

Wenn wir heute den Begriff "Astronomie" hören, dann denken wir zunächst an Teleskope und Satelliten, die den Himmel abscannen, um Antworten auf Fragen zum Ursprung unseres Universums zu finden. Die Alten Ägypter hatten diese Art von Hilfsmitteln natürlich noch nicht, aber sie hatten ihre Augen, ihren Geist – und jede Menge Zeit, um die Dinge zu beobachten. Und das gehört eigentlich zu den Hauptfaktoren für unser Verständnis von "Wissenschaft" in der Antike: am Anfang stand immer eine Fragestellung oder ein Problem, das es zu lösen galt. Und das ägyptische Volk vor tausenden von Jahren hatten sehr viele davon...

Sonne, Mond und Sterne

Göttin Sopdet Quelle

Der Himmel führte die Menschen durch Zeit und Raum. In einer Landschaft, die hauptsächlich aus Wüstengebieten bestand, war die Fähigkeit zu einer klaren Orientierung nicht nur wichtig, sondern konnte entscheidend sein über Leben und Tod in kritischen Situationen. Daher waren die Sterne stets treue Begleiter der Alten Ägypter auf ihrem Weg durch die Wüste. Diese kannten bereits den Unterschied zwischen beweglichen Sternen und den sogenannten Zirkumpolar-Sternen, die niemals hinter dem Horizont verschwinden wegen ihres besonderen Orbits (Umlaufbahn) in Beziehung zur Erde. Sie nannten sie "die, die nie verschwinden" (Rossi 2010: 394). Der sehr helle Sirius, der zu den Sternen gehört, die auf- und untergehen, war einer der wichtigsten Himmelskörper. In altägyptischen Hieroglyphen wurde er "Sopdet" genannt und fand seinen religiösen und mythologischen Ausdruck in der gleichnamigen Göttin Sopdet. Die Griechen nannten den Stern übrigens Sothis. Zusammen mit dem Mond wurden Sterne dazu benutzt, Kalendersysteme zu schaffen, die ich im nächsten Abschnitt einwenig näher beleuchten will.

Kalender

Hieroglyphen-Kalender im Tempel von Kom Ombo,
Public Domain Quelle

Zunächst entwickelten die Alten Ägypter einen Mondkalender, der auf 29 bzw. 30 Tagen basierte. Allerdings hat der Monat genau genommen 29,5 Tage , da er mit dem natürlichen Mondzyklus einhergeht. Dies führte im Alten Ägypten nach einiger Zeit zu immer größeren Verschiebungen im Kalender, die sich wiederholten. Daher schwenkten sie zu einem sonnenbasierten Kalender um, der dann für Tausende von Jahren seine Gültigkeit behielt. Der Mondkalender blieb aber dennoch erhalten und wurde zumindest für religiöse Zeremonien und Feste gebraucht.

Der Sonnenzyklus begann mit dem Aufgang des Sterns Sirius, wie oben bereits angesprochen. Davon ausgehend zählten die Ägypter 12 Monate á 30 Tage, also 360 Tage. Heute wissen wir, dass das "normale" Jahr jedoch 365 Tage hat. Den Ägypten war das bewusst. Daher fügten sie dem Jahr einfach 5 weitere Tage hinzu. Mit der Entwicklung von präziseren Beobachtungs- und Berechnungswerkzeugen wissen wir heute, dass ein Sonnenjahr eigentlich einpaar Stunden länger als 365 Tage dauert – das war etwas, das die Alten Ägypter nicht beachteten. Diese relativ kleine Unregelmässigkeit führte dazu, dass ihr Kalenderzyklus ganze 1460 Jahre dauerte, um wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren.


Orientierung von Bauwerken

Die Äquinoktien, das heisst die Tag- und Nachtgleichen, die zwei mal im (solaren) Jahr stattfanden und heute immer noch von vielen Menschen am 21. Juni und 21. Dezember gefeiert werden, war den Alten Ägyptern auch sehr gut bekannt. In einigen Monumenten können wir heute für eine kurze Zeitspanne sehen, wie sich das Sonnenlicht an einem bestimmten Punkt in einem Tempel oder Grabkomplex sammelt. Der Tempel von Karnak in Luxor ist ein Beispiel, wo sogar heute noch Hunderte von Menschen zusammenkommen, um das Licht zu "begrüßen". Ein weiteres Beispiel ist der Tempel von Abu Simbel nahe Assuan in Südägypten, wo die Sonne im entscheidenden Moment einen Lichtstrahl in das Allerheiligste, das Sanktuar, schickt.


Diese faszinierende Videoaufnahme habe ich auf Youtube gefunden, wo man deutlich die Sonnenstrahlen sehen kann, die durch den Tempeleingang von Karnak kommen.

Darüber hinaus wird angenommen, dass die Pyramiden von Giza in Kairo an den Sternen orientiert sind. Aber das wird nachwievor kontrovers diskutiert, ob überhaupt und wenn ja, an welchen Sternen eine Ausrichtung erfolgte. Was denkt ihr – gibt es einen Zusammenhang zwischen den Pyramiden und den Plejaden?

Mathematik

Ein Zeichen einer hochentwickelten Nation von heute ist die Verwendung moderner Technologie wie z.B. Computer. Quantencomputer werden entwickelt, um Methoden zur Verbesserung der Effizienz der Rechenleistung (nicht nur für Kryptowährungen ;)) zu erforschen. Die Alten Ägypter dachten nicht an Bitcoin, aber sie standen vor ähnlichen Herausforderungen: die Verwaltung einer wachsenden Bevölkerung machte es erforderlich, neue Wege zu finden, z.B. für die effektive Verteilung von Waren (und Dingen des täglichen Bedarfs), um soziale Unruhen zu verhindern. Heute verfügen wir Ägyptologen über hochinteressante Dokumente mit Listen, die Daten und Berechnungen für verschiedene Bevölkerungsschichten enthalten.

Berechnungen

Mathematischer Papyrus Rhind, Public Domain Quelle

Unsere Quellen, die beweisen, wie mathematische Berechnungen durchgeführt wurden, sind hauptsächlich Papyri (und manchmal auch Keramikstücke oder Kalksteinscherben, die antiken "Notizzettel", die nach der Benutzung einfach weggeworfen wurden). Die wichtigsten Papyri sind Papyrus Kahun, Papyrus Rhind, Papyrus Moskau und Papyrus Berlin 6619 (Rossi 2010:391). Wir unterscheiden dabei zwischen offiziellen Dokumenten und Schultexten. Letztere können nochmals unterteilt werden in Tabellentexte und sogenannte "Problemtexte". Diese Dokumente zeigen uns heute, wie die Alten Ägypter wissenschaftliche Phänomene an ihre Nachfolger überlieferten: sie beschrieben einfach das Problem und setzten daneben eine Beispiellösung, die alle erforderlichen Berechnungsschritte enthielt. In Bezug auf diese "Problemtexte" noch ein spezieller Hinweis: mit diesen Beispiellösungen können wir hier und auch in anderen Bereichen, die wir heute "Wissenschaft" nennen, erkennen, dass das Aufschreiben von Wissen, z.B. Ereignisse der Geschichte, für die Alten Ägypter keinen reinen Selbstzweck hatte, sondern dazu diente, anderen dabei zu helfen, zu lernen und sich Wissen anzueignen, um die Gegenwart zu bewältigen. Ähnliches gilt auch für Wandmalereien. Wenn die Ägypter ihre Gräber und Tempel mit teils sehr detailierten Szenen dekorierten, in denen sie darstellten, wie sie zum Beispiel etwas produzierten, dann ging es ihnen nicht darum, dieses Wissen für uns zu bewahren! Sondern es war mehr ein magischer Akt, etwas an einer Wand zu fixieren, um sicherzustellen, dass der Grabinhaber in der Lage war, von den produzierten Dingen im Jenseits zu profitieren. Wir, als ihre Nachfahren in der sehr fernen Zukunft profitieren nur von diesem sehr glücklichen Zufall. ;)

Das mathematische System im Alten Ägypten war ein Dezimalsystem (siehe auch Rossi 2010:392). Hier könnt ihr einmal sehen, wie die Zahlen in Hieroglyphen geschrieben wurden. Das Bild zeigt die Nummern 1, 10, 100 usw. Die Zahl 1.000.000 (eine Million) entsprach nicht immer dem korrekten mathematischem Wert, sondern war gleichbedeutend mit dem Begriff "sehr viel" oder "unendlich".

Da Hieroglyphen (Griechisch für "heilige Zeichen") aus Sicht der Alten Ägypter einen magischen Effekt hatten, können wir immer wieder künstlerisch "verpackte" Zeichen in Objekten, wie diesem hier, finden:


Diese Lotus-Schale aus Kalzit-Alabaster wurde im Grab von Tutanchamun gefunden und zeigt an den Henkeln die Hieroglyphe "Heh", die "Ewigkeit" bedeutete. CC BY-SA 3.0, Hinweis: Dies ist das Bild eines Replikats. Quelle

Metrologie

Die Alten Ägypter bauten die Pyramiden und dies führt zu der Frage, wie dies überhaupt möglich war ohne ein hochentwickeltes Mess-System. In der Tat gab es ein komplexes metrologisches System, das dazu diente, Lösungen für verschiedene geometrische Probleme zu finden, die als Basis für eine derartige Monumentalarchitektur galt. Sie verfügten über ein lineares Mess-System, das "Elle" genannt wurde und das in zwei Varianten aufgeteilt werden konnte: die königliche Elle und die kleine Elle mit ihren kleineren Untereinheiten, der "Palme" und dem "Finger" (Rossi 2010: 393).

Die Zwölf-Knoten-Schnur

Der sogenannte "Seilspanner", der verantwortlich für die Landvermessung war, benutzte eine spezielle Schnur mit 12 Knoten, um Rechenoperationen durchzuführen, die wir heute als den "Satz des Pythagoras" kennen (oder auch den "Goldenen Schnitt").

Das gängige Volumenmaß war das sogenannte "Hekat", das – grob geschätzt – 4,8 Litern entsprach. Die kleinste Untereinheit war das "ro": 1/32 eines Hekats = ca. 0,015 Liter (Imhausen 2003: 58–59). Dieses System wurde allgemein für die Verteilung von Getreide oder anderen Waren an die Bevölkerung genutzt. Besonders ausgebildete Schreiber notierten dabei ganz präzise das hereinkommende und das herausgehende Volumen von Früchten und Produkten, um die Versorgung der Menschen sicherzustellen.


Wie ihr in diesem Artikel sehen konnte, hatten die Alten Ägypter früher keine institutionalisierte Wissenschaft, wie wir sie kennen. Obwohl es Schulen und Gelehrte gab, vorallem im Bereich des Lesens und Schreibens, hatten sie keine "Universitäten" in der Weise, dass die Bildung in verschiedene Level aufgeteilt wurde. Erst später, als die (sehr wissenschafts-orientierten) Griechen ins Land kamen, veränderte sich ihre Perspektive.

Im nächsten Artikel (Teil 2) wird es um die Bereiche Geographie, Geologie und Biologie gehen. Ein weiterer Blogpost wird sich dann auch der Physik und der Chemie (Teil 3) sowie der Sprache und Literatur (Teil 4) widmen. In einem der Folgeartikel möchte ich dabei auch auf die Fähigkeit der Alten Ägypter eingehen, auf welche Weise sie neue Technologien entwickelten, was diese Gesellschaft so stark nach vorne gepusht hat, sodass wir heute von einer hochentwickelten Kultur sprechen können. Folgt mir einfach auf dem Blog! ;)


Quellen und weiterführende Literatur:

• Helck, Wolfgang, Maße und Gewichte [pharaonische Zeit], in: Helck, Wolfgang, Westendorf, Wolfhart Westendorf (Hrsg.): Lexikon der Ägyptologie. Band 3, Wiesbaden 1980.
• Imhausen, Anette, Ägyptische Algorithmen, Ägyptische Abhandlungen, 2003.
• Parker, Richard Anthony, The Calendars of Ancient Egypt, Studies in Ancient Oriental Civilization, No. 26, Chicago 1950.
• Rossi, Corinna, Science and Technology: Pharaonic, in: Lloyd, Allan B. (ed.), A Companion to Ancient Egypt, Volume I, Chicester, West Sussex, UK 2010.
• Wilson, Alistair Macintosh, The Infinite in the Finite, Oxford 1995.
• Zauzich, Karl-Theodor, Hieroglyphen ohne Geheimnis. Kulturgeschichte der antiken Welt, Darmstadt/ Mainz 2012.

Alle verwendeten Bilder sind entweder CC BY-SA 3.0 oder stammen von mir selbst. Quellen sind direkt unter dem jeweiligen Bild verlinkt. Foto im Headerbild: https://de.wikipedia.org/wiki/Papyrus_Rhind



Wenn euch dieser Artikel gefallen hat, folgt mir auf meinem Blog @laylahsophia. Ich bin eine deutsche Ägyptologin und schreibe über das alte und das zeitgenössische Ägypten, Wissenschaftsgeschichte, Philosophie und Leben.

steemstembanner2.gif

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
24 Comments