Heimat auf Bestellung

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Was ich über mein Heimatland denke, hat mich der Dude gefragt. In einem Kommentar, den ich heute Morgen in meinem Blog gefunden habe, bat er um Folgendes:

ich wollte bald über @politics-trail einen Artikel über die Deutsche Kultur verfassen. Da ich aber, denke ich, eine sehr persönliche Einstellung zu meinem Land habe, wollte ich andere Deutsche bitten, mir ein paar Zeilen dazu zu Schreiben, was sie von ihrer Kultur halten.

Service Compris. Natürlich erklärte ich mich gerne bereit dazu. Ein Postingthema ist immer willkommen unter richtigen Zwergen. „Sehr schön, freu mich schon zu lesen, was unser Navigator über das Heimatland denkt,“ war die Antwort vom Dude. Abgesehen davon, dass nicht ich der Navigator bin, sondern Ned Scott wird es am Ende gewesen sein, finde ich den Ausdruck „ein paar Zeilen“ schon witzig. Wer hat denn keine sehr persönliche Einstellung zu seinem Land, @thatgermandude? Mein Heimatland, das ist schon als Wort ein solches Mostrum, das muss ich erst mal stutzen, sonst bekomme ich das gar nicht in ein „paar Zeilen“ hinein. Scherz beiseite. Heimatland, das gab es nicht in meinem Leben und ich kann nicht behaupten, dass es mir irgendwann gefehlt hätte. Oder vielleicht habe ich sogar eins und merke es nicht. Beide Zustände finde ich, sind gelungen, weil stressfrei. Da gibt es keine Termine, keine Aufzüge also nichts, wo man für hingehen müsste und kein Strammstehen.

Ich wurde als Sohn eines Hilterjungen und eines BDM – Mädchens geboren. Beide waren gerade 19 Jahre alt und eine anderthalb Jahre ältere Schwester war auch schon da. Für mich waren Menschen verantwortlich, denen ihre Heimat gerade krachend um die Ohren geflogen war. Sie hatten, gerade eben so, überlebt. Schon wurden sie als Erwachsene in einer völlig neuen Welt gefordert. Als Werkzeuge ihres Heimatlandes, wurden sie aufgezogen, sogar als Spitzel ausgebildet und am Schluss waren sie auch noch letzte Waffe der Heimat. Meine Großeltern konnten sich über manche Themen nur heimlich unterhalten, weil es die Kinder sonst bei der HJ oder dem BDM gemeldet hätten. Jeder Nachgeborene wird verstehen, dass diese Menschen überhaupt nicht in der Lage gewesen sein konnten, uns annähernd ein Gefühl von dem zu vermitteln, was Heimat sein soll. Wie hätte das funktionieren sollen? Es gab keine Heimat mehr. Alles war neu. Sogar die Ruinen.

Kriegsversehrte gehörten zum alltäglichen Bild. Infolgedessen wurde ich mit Heimat in einer Weise konfrontiert, die viel mit Verlust und Heimkehrern zu tun hatte. Bald kamen auch schon die Heimatvertriebenen, deren Schicksal ich nicht einmal im Ansatz verstehen konnte. Was lamentierten die dauernd mit der Heimat herum, die ihnen doch gar nicht gehörte? Sie könnten doch eigentlich froh sein, hier angekommen zu sein. Was soll dieses Heimatding? Auch das ganze Gejammer mit der verlorenen Heimat in der Zone habe ich nicht nachvollziehen können. War doch alles ganz prima in der BRD. Wenn du arbeiten wolltest, hast du gearbeitet und wenn du keinen Bock darauf hattest, gab es immer genug Möglichkeiten, auch nichts zu tun.

Für meine Generation ist es phantastisch gelaufen. Insofern waren Land und Menschen vollkommen in Ordnung. Ich habe ein friedliches und erfülltes Leben führen können. In diese aufregende, hier friedliche Zeit hinein geboren worden zu sein, ist sowieso glückliche Fügung gewesen. Rein heimatideologisch gab es dabei nichts zu regeln. Im Gegenteil. Die Generationen vor mir hatten alle Mühe, ihr Weltbild überhaupt an eine neue Heimat anzupassen. Was für mich niemals eine Frage war, denn ständig kam was Neues auf uns zu und ich konnte mich in dieser Gesellschaft bewegen, wie ein Fisch im Wasser, völlig ohne jede historische Anbindung. Es gab, noch einmal zurück in die Perspektive der Eltern, verständliche Tabus. Fahnen waren verpönt, Aufmärsche, Versammlungen, Vereine, Pathos, na ja und die Kirchen waren auch nicht mehr das, was sie einmal gewesen sind. Man wurde als Kind zwar noch hin geschickt, aber dort saß die Jugend zusammen mit den ganz Alten. Dazwischen fehlten ganze Generationen.

Die Sammlung germanischer und nordischer Sagen in der Bibliothek meines Großvaters vermochte es auch nicht, mir Heimat beizubringen. Das Zeug wurde nicht gelesen. Schwarz gedrucktes Deutschtum, viel dunkler Wald dräute schwergewichtig, ledergebunden im Regal und wurde höchstens staubfrei gehalten. Johann Gottlieb Fichte vergammelte im Esszimmer und wurde nie wieder gelesen. Wahrscheinlich nahmen die Bücher im Laufe der Jahre den Duft des Essens an. Der Fichtekreis von Wien, das war eine Episode in einem anderen Leben meiner Großeltern. In einer anderen Zeit. Keines dieser Bücher wurde je wieder zum Lesen aufgeschlagen. Nicht einmal in der Zeit in der es hieß ich solle mal was lesen, damit etwas zwischen meine Ohren komme, waren diese Bücher Gegenstand irgend eines Gespräches, geschweige denn einer Empfehlung.

Als ich einigermaßen selbstständig denken konnte, hing ich auch schon im Science Fiction–Regal des Großvaters. Gut, in den SF–Büchern kam dann Heimat immer wieder vor. Da war die Erde oft das gelobte Land, während in einem unwirtlichen Raumsektor gekämpft wurde. Heimat begegnete mir also überwiegend in pathetischem Kontext und so wurde im Laufe der Jahre auch ein Begriff daraus, mit dem ich zumindest von der Vorstellung her was anfangen konnte. Damit wollte ich aber nichts in der Wirklichkeit zu tun haben.

Aha, dachte ich mir, die Bundesrepublik Deutschland ist also meine Heimat und wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ich sie verlassen muss, gäbe es tatsächlich auch eine Menge interessanter Länder, wo ich gerne hingehen würde. Aber warum sollte ich? Also bleibe ich hier. Kein Staatsstreich, keine Erdbeben, keine Vulkanausbrüche und im Landstrich wo ich wohne, beginnt die Wetterau. Dass es Heimat ist, hat mich eigentlich nie interessiert. Ich meine, selbstverständlich ist der Ort an dem ich lebe meine Heimat. Aber warum soll ich da irgend ein Ding drum herum aufblasen oder die Scholle umarmen? Das es Heimat ist, ist genau so interessant wie die Tatsache, dass in China ab und zu mal ein Sack Reis umfällt.

Jetzt mal im Ernst. Wie soll man eine emtionale Beziehung zu etwas entwickeln, das Bundesrepublik heißt? Wir hatten Zeit meines Lebens eine ausgesprochen funktionale Beziehung zueinander, dieses Land und ich. Wo ich konnte, bin ich ihm aus dem Weg gegangen und wo es sich nicht vermeiden ließ, habe ich darin ein gemütliches Plätzchen gefunden. Dass man, wie ein Franzose den Namen seines Landes ausspricht, der Kamm schwillt und man etwas Weibliches assoziiert, mit prallen Brüsten und Kanonenkugeln, könnte mir weder mit Deutschland, noch mit Bundesrepublik passieren und beide Begriffe zusammen sind so etwas von unsexy, dass mir das Land jetzt fast schon irgendwie leid tut. Nein, Heimat ist relativ und zerbrechlich. Das hängt nicht an Dingen. Schon gar nicht an einem Land. Die Vorstellung, Deutschland gegenüber so etwas wie Gefühle zu entwickeln, erscheint mir reichlich obszön.


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Just a Frog, in a pond of STEEM.


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