Mit dem Fahrrad um die Welt - #001 - Rückenwind ist nur die halbe Miete

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Wenn ich heute eins gelernt habe dann dies: Vertraue niemals dem deutschen Wetterdienst. Die ganze Woche wurde auf allen Kanälen verkündet, der Sonntag, ja der Sonntag würde den Frühling bringen. Temperaturen bis zu 15 Grad, im Grunde Badehosenwetter. Als besorgter Bürger würde ich jetzt "Lügenpresse" rufen.

Aber der Reihe nach. Ich saß am Frühstückstisch und war hin- und hergerissen zwischen einem Besuch beim Fitness-Studio und einer Runde auf dem Fahrrad.
Meine erste ambitionierte Tour in diesem Jahr über 20 Kilometer ist fast zwei Wochen her, muss also kurz vor der Kälteperiode gewesen sein.

Ich komme so langsam in ein Alter, in dem ich einroste, wenn ich einer Sache längere Zeit nicht mehr nachgehe, also schwang ich mich aufs Fahrrad. Die Sonne schien und der Wetterdienst hatte ja vorhergesagt... ihr wisst.
Die dicke Winterjacke, Mütze und Handschuhe würden schon genug Schutz bieten, dachte ich mir und fuhr frohgemut los.

Auf mich wartete eine herrliche Natur, die gerade erst erwachte. Enten und Möwen schliefen noch auf den Eisschollen des Mittellandkanals, wurden aber jäh von einem aufdringlichen Hobby-Fotografen geweckt.

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Ich spürte die klirrende Kälte an den Wangen, war aber überrascht, wie gut ich vorankam. Im letzten Jahr bin ich durchschnittlich 18 km/h gefahren. Zum einen lag es am Untergrund, denn meistens war ich auf erdigen, matschigen Wegen unterwegs, oder auf Geröll, selten auf festen und geteerten Straßen. Zum anderen war ich im Jahresschnitt 2017 um einiges schwerer.

Doch heute gab die Waage kein Ächzen von sich, als ich sie betrat. Glücklich gab sie mein Gewicht mit 97,7 Kg an.
Es musste also am Gewicht liegen, dass ich so unglaublich schnell war. Ich schoss an den 500 Meter Marken des Kanals nur so vorbei und verpasste dabei etliche Gelegenheiten, um schöne Fotos zu machen. Ich hatte mir fest vorgenommen, meine "Fähigkeiten" diesbezüglich auf meinen Touren auszubauen, aber ich wollte den Schnitt von 23 Km/h nicht kaputt machen, den ich das letzte Mal vor zehn Jahren gefahren war.
Ich hatte mir das Ziel gesetzt, 25 Kilometer zu fahren und schaute ungläubig auf das Display meines Smartphones. Die Gesundheits-App zeigte mir nach 12,5 Km tatsächlich an, ich sei erst 35 Minuten gefahren.
Mehr denn je davon überzeugt, über Nacht zum Tour de France Siegesaspiranten herangereift zu sein, verlängerte ich meinen Ausflug um 5 weitere Kilometer.

Vielleicht hätte ich auf das unten abgebildete Schild hören sollen, dass mich warnen wollte. "Kehre um" schien es mir zurufen zu wollen, aber in meiner jugendlichen Arroganz fuhr ich weiter und drehte erst auf der Höhe zwischen VW und dem Continental-Gelände um.

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In Gedanken war ich in Null Komma Nichts wieder zu Hause und würde einen furiosen Steemit-Artikel schreiben, der meine Heldentaten auf zwei Rädern in den blühendsten Worten beschreiben würde. Mit Lob überhäuft kämen Ruhm und Ehre und meine Tour um die Welt könnte ich eigentlich gleich morgen starten.

Planung, Training, Ausrüstung? Ha, das ist was für Zauderer.

Doch dann setzt ich mich nach dem obigen Foto wieder aufs Rad und trat den Rückweg an. Und wisst ihr, was mir nach den ersten schwerfälligen Tritten in die Pedale schlagartig klar wurde?
Ich hatte den ganzen Hinweg Rückenwind gehabt und ihn wegen der dicken Winterjacke nicht bemerkt. In den ersten 5 Minuten wollte ich es nicht wahrhaben und trat mit wilder Ignoranz immer verzweifelter in die Pedalen und kam so sehr schnell an den Rand meiner Leistungsfähigkeit. Ich japste nach Luft, die sich unerbittlich und schneidend in meine Lungen drängte. Meine Oberschenkel kühlten aus und meine Füße wurden taub. Was hätte ich dafür gegeben, ein zweites Paar Socken zu haben. Aber wenn wir schon beim Wunschkonzert sind, hätte ich mir auch gleich wünschen können, im warmen zu sitzen und diesen Alptraum verlassen zu dürfen.

Ich schaute auf die Fahrrad-App und traute meinen Augen wieder nicht, nur gab es jetzt keine positive Überraschung. Die mir gebliebene Restmotivation erlosch, als ich den Kilometerschnitt auf dem Display sah. Ich musste zweimal hingucken, um es zu glauben. Ich fuhr 14 Stundenkilometer und mein ganzer Körper brannte.

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Demoralisiert und allen Mutes, sowie jeder arroganten Attitüde beraubt, passierte ich mein blaues Menetekel. Ich bildete mir ein, ein Flüstern gehört zu haben.

"Ich habe dich gewarnt".

Schon zu erschöpft, um diese Begegnung zu analysieren, fuhr ich stumpf und den Kopf hängen lassend weiter. Der zerfurchte Boden griff förmlich nach meinen Reifen. Ich fuhr wie auf Treibsand.
Der Weg zog sich unheimlich und ich war froh jetzt die Ausrede zu haben, immer mal wieder abzusteigen, um ein Foto zu machen, wie ich es mir vorgenommen hatte. Ich konnte zwar kaum noch gehen und selbst das Ausziehen der Handschuhe, um den Auslöser am Smartphone zu bedienen, war zur Mammutaufgabe geworden, aber wenigstens konnte ich meine Oberschenkel ausruhen und war dem unerbittlichen Wind für wenige Augenblicke nicht mehr ausgesetzt.

Hier sind die Alibi-Fotos, die ich aber wirklich schön finde. Das erste ist von einer Yacht, die vereist im örtlichen Yachthafen liegt und das zweite zeigt eine von insgesamt fünf Holzstatuen, die in den letzten Jahren ein Künstler aus gekappten Bäumen geschnitten hat. Wenn es nicht mehr ganz so elendig kalt ist, fahre ich nochmal hin und fertige eine kleine Fotoserie daraus.

Das Bild von der Yacht habe ich gleich mal benutzt, um Steepshot auszuprobieren. Die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten wollen ja alle getestet werden.

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Nach dieser Odyssee habe ich mich erstmal in die Badewanne gelegt und wäre vor Entkräftung fast abgesoffen.
Die heutige Tour hat mich zu einem Motto inspiriert.

Genieße den Rückenwind im Leben, aber denk an die Zeiten in denen sich der Wind drehen könnte.

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