Projekt Angst - Die Liebesaffäre mit dem Unbekannten

Das ist mein Beitrag zum Wochenthema Angst, ins Leben gerufen von @tineschreibt. Gestern war @jedigeiss dran und hat einen tollen Post dazu gemacht. Morgen @asperger-kids, auf Deinen Artikel freue ich mich auch schon sehr <3. Unter dem Tag #wochenthema findet ihr außerdem weitere Posts zu diesem Thema.

Meine Geschichte

Ich schließe meine Augen und denke an das kleine Mädchen, das ich einst war. Mir kommt immer wieder das gleiche Bild:

Lange ungekämmt Haare, barfuß, dreckige Hände und dieser unbändige Hunger nach Leben. Und vor allem eines:

MUTIG.

Aber leider stimmt das nicht. Das ist nur eine Illusion, die sich mein Geist geschaffen hat. Ich wollte immer wild und mutig sein. Wie Ronja die Räubertochter. Stattdessen war ich voller Angst.

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Photo by Annie Spratt on Unsplash

Meine Erinnerungen erzählen also eine andere Geschichte.

Ich muss 7 oder 8 Jahre alt gewesen sein. Mein Bruder, meine Nachbarsfreundin und ich spielten am Waldrand unweit unserer Elternhäuser entfernt. Mein Bruder und meine Freundin wollten unbedingt weiter und tiefer in den Wald hinein. Sie wollten ihn entdecken und erkunden. Ich versuchte sie davon abzuhalten, denn ich hatte Angst. Um sie. Um mich. Letztendlich konnte ich sie nicht überzeugen und bin mit in den Wald hinein. Glücklicherweise konnte ich sie nach kurzer Zeit vom Umkehren überzeugen. Wovor ich so sehr Angst hatte, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Aber es war ein Erlebnis, das sich eingeprägt hat, sonst würde ich mich heute nicht mehr daran erinnern.
Selbst heute als erwachsene Frau, bin ich ungern allein im Wald.

Ein paar Jahre später stand ich an der Straße, nachdem der Schulbus mich abgesetzt hatte. Ich wollte gerade die Straßenseite wechseln, als neben mir ein Auto hielt. Ein älterer Mann öffnete die Autotür. Er hielt eine Landkarte in der Hand und bat mich zunächst einzusteigen.

Meine Eltern hatten mir sehr früh und eindringlich beigebracht, niemals aber auch niemals zu Fremden ins Auto einzusteigen. Sofort fielen mir ihre Worte ein. Ich blickte dem Mann wie versteinert ins Gesicht und stotterte das Wort „Nein“ ein paar Male. Er wurde sauer und schloß die Tür und fuhr genervt weiter. Zurück blieb ich. Ich konnte mich für ein paar Augenblicke nicht bewegen. Ich war wie gelähmt. Gelähmt vor Angst. Vielleicht wollte er tatsächlich nur nach dem Weg fragen. Vielleicht auch nicht.

Mut und Angst gehören für mich zusammen. Ich will Euch erzählen warum.

Was ist Mut?

Die meisten Menschen denken, Mut hat nichts mit Angst zu tun. Mut hat aber immer auch etwas mit Angst zu tun. Keine Angst zu haben ist Furchtlosigkeit. Das ist etwas komplett anderes. Mut ist, wenn man sich seiner Ängste bewusst ist und sich gegen sie aufrichtet.
Mut bedeutet das Vertraute gegen das große Unbekannte einzutauschen.
(Quelle: "Mut. Die Freude gefährlich zu leben". Osho)

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Um eines klarzustellen: Angst ist nicht nur schlecht.
Angst kann uns warnen. Uns am Leben erhalten.
Uns vor lebensbedrohlichen Situationen retten. Für mich geht es nicht darum ganz und gar ohne Angst zu leben. Wir müssen nur Eines lernen:

MIT DER ANGST UMZUGEHEN

Wir müssen ihr ins Gesicht sehen. Ja sieh ganz genau hin. Nur wenn Du ihr mutig ins Gesicht siehst, kannst Du sehen ob sie eine Lügnerin ist oder eine Freundin, die schützend ihre Arme um Dich legen will.

Hältst Du Deine Angst aus?

Angst ist ja erstmal kein schönes Gefühl. Es ist sogar für viele Menschen viel schlimmer auszuhalten als Wut oder Enttäuschung. Wir halten Angst kaum aus. Und haben sozusagen Angst vor der Angst.

Und weißt Du warum? Weil wir nie gelernt haben mit unseren Ängsten umzugehen. Wie ich finde ist das ein kollektives Problem. Wir lenken uns lieber ab oder nehmen wenns mal härter kommt, Medikamente ein. Aber geht diese Rechnung auf?

Bestimmt kennst du den Satz, den man gern zu den Kindern sagt:
„Du musst keine Angst haben“

Macht das Sinn? Wenn ich Angst habe, dann habe ich Angst. Es ist schon lange überfällig unsere Angst zu fühlen. Einfach nur mal da sein zu lassen. Atmen und sie aushalten. Wir reden nicht über unsere Ängste, denn wir haben sie tief weggepackt. Die Verlustangst, die Versagensangst und wie sie alle heißen. Ich glaube wir sind alle voll mit Ängsten.

Es ist an der Zeit etwas zu ändern. Das nächste Mal wenn Du Angst hast, halt inne. Schließe Deine Augen und sieh ihr direkt ins Gesicht. Nimm all deinen Mut zusammen und renne deiner Angst schreiend entgegen.

Heute weiß ich, dass ich nicht das wilde, mutige Mädchen war, das ich immer sein wollte. Aber das ist nicht schlimm. Jetzt als junge Erwachsene werde ich immer mehr zu der mutigen und wilden Frau, die ich immer sein wollte. Ich nehme mein kleines inneres Mädchen symbolisch an die Hand - und sie darf Angst haben. Ich werde sie lehren, ein stiller Beobachter ihrer Gefühle zu werden. Ohne sich davon beherrschen zu lassen, denn Mut ist, wenn man Angst hat, aber sich nicht von ihr abhalten lässt.

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Viele meiner Freunde sagen mir, dass sie mich für meinen Mut bewundern. Ganz zum Schluss möchte ich dir noch verraten wovor ich zum jetzigen Zeitpunkt am meisten Angst habe:

vor dem Moment, wenn meine Eltern sterben

Danke fürs Lesen

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