Politik 013 - Türkei vs. Westeuropa, unkonventionelle Überlegungen

12. März 2017
Zu den sich gerade überstürzenden Ereignissen um Wahlkampfauftritte von hochrangigen Türkischen Ministern in Mitteleuropa und generell zur Türkei sind auch mir ein Paar Dinge eingefallen. Es geht dabei um eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung, die in der Türkei noch im Jahr 2017 stattfinden wird [1]. Dabei geht es wohl um erweiterte Kompetenzen für das Staatsoberhaupt. Wobei ich in diesem Thema bestimmt nicht über grössere Expertise verfüge. Trotzdem mache ich mir Gedanken, scheitere bei der Interpretation regelmässig.

Zunächst beobachte ich seit einigen Monaten spürbar vorhandene Disharmonie zwischen der Regierungen Deutschlands, respektive der EU und der Türkei. In einem Handel bezüglich der Migration von den arabischen Raum in Richtung Europa verlassenden Menschen wurde die Türkei zu umfassendem Grenzschutz verpflichtet. Der Preis dafür wurde von der Türkischen Administration soweit mir bekannt mehrfach in die Höhe getrieben. Dazu gab es am 15. Juni 2016 einen Putschversuch [2] gegen den Türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan [3], der aber rasch scheiterte. Erdoğan sitzt seit 2003 in der Regierung der Türkei, von 2003 bis 2014 als Ministerpräsident. Präsident und damit Staatsoberhaupt ist er seit 2014. Sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten ist Binali Yıldırım [4].

Das rasche Scheitern des Putschversuches liessen Zweifel an der Organisation aufkommen. Trotzdem starben gemäss den Informationen auf Wikipedia 247 Menschen [2]. Dazu wurden 2'100 Menschen verletzt und von Präsident Erdoğan eine Säuberung gegen die ihm entgegenstehenden Menschen eingeleitet. In den Fokus geriet die Gülen-Bewegung [5], deren Kopf der seit 1999 in den USA lebenden Fethullah Gülen [6] ist. Insbesondere im Bereich der Medien und der höheren Bildungsinstitute wurden viele mutmassliche Kollaborateure Gülens respektive Gegner Erdoğans entlassen, inhaftiert oder eine Ausreise verweigert. Die Gülen-Bewegung ist eine islamische, die von einigen als friedlich und modern beschrieben wird. Gemäss [5] gibt es Mutmassungen, die das Stiftungsvermögen auf die gigantische Summe von 50 Milliarden US-Dollar schätzen. 1'500 Islamschulen und 15 Universitäten gehören neben wirtschaftlichen Unternehmen zum Gülen-Netzwerk. Darüber hinaus werden der Bewegung Kontakte zum US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA nachgesagt. Diese Kontakte dürfen wohl als wahr bezeichnet werden, da gemäss [1] Gülen 1999 mithilfe von CIA-Kontakten in die USA geflüchtet war.


Der höchste Berg auf Türkischem Boden, der Ararat [7], dessen Gipfel sich auf 5137 Metern über Meereshöhe befindet.

Einerseits kann man also sagen, dass der Putsch die Macht des Präsidenten Erdoğan im Inland wohl stärkte, aber nicht dessen Ansehen im westlichen Ausland. Von dort her, nahm die Opposition gegen Erdoğan zu. Weil er sich an seine Macht klammert und sie dazu beständig ausbaut, wird er mittlerweile auch als Despot bezeichnet. Da Erdoğans Präsidentschaft schon mehrfach den Groll einiger Türken auf sich gezogen hat und deswegen grössere Demonstrationen stattfanden, wird er wohl schon seit längerer Zeit grosse Vorsichtsmassnahmen getroffen haben. Vielleicht ist er selber schon paranoid geworden, Alexander Benesch hat nach dem Putsch in diese Richtung argumentiert [8]. Unter der Herrschaft Erdoğans nahm die Bedeutung des Islams bedeutend zu. Der Gründer der modernen Türkei, Mustafa Kemal Pascha Atatürk (1881-1938) [9] bekannte sich strikt zum Laizismus und führte anstelle der islamischen Rechtsprechung fast vollständig das Schweizer Zivilrecht ein. Dazu ist die Türkei eines der ganz wichtigen Mitgliedsländer der NATO, meines Wissens nach stellt sie nach den USA die zahlenmässig zweitgrösste Streitmacht.

Die wichtigste Information des Putsches im Jahr 2016, die noch nicht geklärt ist, ist die Frage nach der Verantwortung. Wer der Urheber war, ist noch nicht geklärt. Von einem Erdoğan'schen Inside-Job, bis zu einem echten, möglicherweise aus dem Westen, also von NATO-Partnern(!) angezettelten Putsch wurde einiges genannt. Wäre es ein Inside-Job gewesen, der dazu dagewesen ist, endlich einige ungeliebte Zeitgenossen loszuwerden oder sie zu entmachten, wäre es berechtigt, ihn als Despoten zu bezeichnen. Handelte es sich um einen von aussen angezettelten Putsch, so wäre er zur Verteidigung berechtigt. Auch wenn er seine Macht schon stark ausgebaut hat, hat er die letzte Wahl 2014 mit grösserem Abstand für sich entschieden [10].

Die abgesagten Auftritte

Einige der mir bekannten, politisch interessierten Menschen frohlocken gerade, weil von den für die innere Sicherheit verantwortlichen Behörden Auftritte abgesagt wurden. Den Anfang machte ein Auftritt des Türkischen Justizministers Bekir Bozdağ [11] im badischen Gaggenau. Zweiter abgesagter Auftritt war der geplante Auftritt des Türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekçi [12], der in Köln auftreten sollte. Dazu gab es auch eine Absage in der Schweiz, wo der Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu [13] auftreten sollte. Wie die Wahlkampfauftritte im einzelnen organisiert waren, ist mir bei den meisten Anlässen nicht bekannt. Der Auftritt Cavusoglus soll gemäss Berichten des Schweizer Fernsehens zunächst als grösserer Familienanlass angemeldet worden sein, was eine politische Veranstaltung natürlich nicht exakt beschreibt. Zwei Funktionäre von Erdoğans Partei AKP traten bereits in der Schweiz auf [14]. Es waren der Vizechef Murat Alparslan und der wohl etwas weniger bekannte Hursit Yidirim.

Die aktuellsten Ereignisse fand aber in den Niederlanden statt [1]. Dort wurde zunächst Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu die Einreise verweigert. Ein Konvoi mit Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya [15] wurde angehalten und von Rotterdam zur Deutschen Grenze eskortiert. Sie war aus Deutschland eingereist. Weitere Absagen ähnlicher Veranstaltungen gab es in Dänemark und Österreich.

Meine Ansicht ist grundsätzlich die, dass die Freiheit der Versammlung in der Schweiz, Deutschland und weiteren Ländern grundsätzlich auch für Türken zu gelten hat. Allerdings müssen diese korrekt angemeldet werden und allen interessierten offenstehen. Die in den Veranstaltungen verkündeten Parolen haben grundsätzlich innerhalb der gesetzlichen Schranken der Gastländer zu bleiben.

Die Rolle Russlands?

Seit dem 30. September 2015 ist die Russische Armee offiziell, als Verbündeter Syriens unter Präsident Assad, Partei im höchst undurchsichtigen Syrienkonflikt [16]. In diesem Konflikt sind eine ganze Reihe von Akteuren beteiligt. Am Boden setzen sich die Gegner Assads vor allem aus islamischen Milizen zusammen, die sich vorwiegend im Irak aufgebaut und dann in Richtung Syrien fortbewegt haben. Alimentiert werden sie sicherlich aus dem Arabischen Raum, woher sonst noch Geld fliesst, ist mir weniger bekannt. Der Islamische Staat ist die wohl grösste Bewegung, aber es gibt weitere Bewegungen wie die al-Nusra Front, eine zahlenmässig wohl wenig bedeutende Free Syrian Army und Syrer, die einen politischen Wandel möchten. Ob sie ihn sich so gewalttätig gewünscht haben, bezweifle ich aber stark. Die NATO mit den Hauptakteuren USA, Grossbritannien und Frankreich stellt sich gegen den Syrischen Präsidenten Assad und den Islamischen Staat, möchten mit sogenannt "gemässigteren" Kräften trotzdem einen Machtwechsel herbeiführen. Wie sie das entstehende Machtvakuum zu füllen beabsichtigen, haben sie bisher offen gelassen. Die angenehmste Version wäre wohl, wenn die Türkei und/oder Israel Teile des Landes übernehmen würden, um eine Herrschaft des Islamischen Staates zu verhindern.

Nun aber zurück zur Beziehung Türkei-Russland. Zwei Schlüsselereignisse waren wohl der Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs [17] vom Typ Suchoi Su-24 am 24. November 2015. Dieses soll in den Türkischen Luftraum eingedrungen sein und deswegen abgeschossen worden. Der Pilot verstarb am Boden, nachdem er beschossen wurde. Ein zweites Ereignis war die Erschiessung des Russischen Botschafters Andrej Karlow in der Türkei, welche am 19. Dezember 2016 in Ankara stattfand [18].

Wie die Beziehungen dieser Länder untereinander aktuell aussehen, ist schwierig einzuschätzen. Trotz zweier Ereignisse mit Russischen Opfern schien die Lage eher entspannt zu sein, nachdem es Ende 2015 ziemlich frostig ausgesehen hatte. Ein mögliches Szenario, das die Entspannung mindestens zwischen den beiden Staatsoberhäupter erklären könnte, wäre, dass der Türkische Präsident Erdoğan wichtige Hinweise über den Putsch gegen ihn aus Russischen Quellen erfahren hatte. Wenn die Russen Erdoğan an der Macht gehalten haben und der Putsch gleichzeitig aus dem Westen organisiert war, haben es die Russen vielleicht sogar geschafft, einen nicht unerheblichen Keil in die NATO zu treiben.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Volksabstimmung_in_der_T%C3%BCrkei_2017
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Putschversuch_in_der_T%C3%BCrkei_2016
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Recep_Tayyip_Erdo%C4%9Fan
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Binali_Y%C4%B1ld%C4%B1r%C4%B1m
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/G%C3%BClen-Bewegung
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Fethullah_G%C3%BClen
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkei
Die Bilddatei wurde unter obenstehendem Link gefunden. Sie ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert. Urheber ist "MrAndrew47".
[8] Türkei-Putsch war CIA, kein Fake. Alexander Benesch, 18. Juli 2016

[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Mustafa_Kemal_Atat%C3%BCrk
[10] https://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4sidentschaftswahl_in_der_T%C3%BCrkei_2014
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Bekir_Bozda%C4%9F
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Nihat_Zeybek%C3%A7i
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Mevl%C3%BCt_%C3%87avu%C5%9Fo%C4%9Flu
[14] http://www.20min.ch/schweiz/news/story/15291576
[15] https://de.wikipedia.org/wiki/Fatma_Bet%C3%BCl_Sayan_Kaya
[16] https://de.wikipedia.org/wiki/Russischer_Milit%C3%A4reinsatz_in_Syrien
[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Abschuss_einer_Suchoi_Su-24_der_russischen_Luftwaffe_2015
[18] https://de.sputniknews.com/politik/20161219313830915-russland-botschafter-attentat-tod/

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
3 Comments