Politik 089 - Neue Einschätzungen von Prof. Werner Patzelt 1/2

15. August 2018

Professor Werner Josef Patzelt (geboren 1953) [1] ist ein bekannter deutscher Professor für Politikwissenschaft, der gegenwärtig an der Technischen Universität Dresden lehrt. Seit 1991 ist er dort Professor. Er ist für eigenständige Analysen bekannt und auch dafür, dass er mit vielen verschiedenen Menschen zu sprechen bereit ist. Neben Stellungnahmen und Gesprächen bei den öffentlich-rechtlichen Kanälen und in Vorträgen war Patzelt etwa schon beim alternativen Medienkanal Nuo.Viso zu Gast.

Werner Patzelt gilt als eher konservativ ausgerichtet und ist seit 1994 Mitglied der Partei Christlich-Demokratische Union (CDU). Er gehört zu denen, die sehr früh - schon vor 10 Jahren - zu warnen begonnen haben, dass es in der CDU zu wenige fähige Wirtschaftspolitiker in die Führungsriege gebe und dass die Gefahr einer Repräsentationslücke rechts von der CDU bestehe. In diese Lücke ist bekanntlich die 2013 gegründete Partei Alternative für Deutschland hineingesprungen und versucht sich seither ziemlich erfolgreich darin breitzumachen. Auch beim Aufkommen von AfD und der Dresdner Widerstandsbewegung PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes), äusserte sich Werner Patzelt ähnlich. Mir persönlich gefällt das, dass Werner Patzelt immer wieder versucht, sich stategisch zu äussern und die ablaufenden Entwicklungen eigenständig und mechanistisch zu charakterisieren.

In der Folge solcher Äusserungen kam es im Frühjahr 2017 zu einem Brandanschlag auf Werner Patzelts privaten Wagen verübt. Er hat dazu selbst Stellung bezogen auf seinem eigenen politischen Blog wjpatzelt.de. Mir erscheint es immer wieder ziemlich furchteinflössend, wenn einige Teilnehmer in einem sich zivilisiert nennenden Land mit einer derartigen Militanz am politischen Wettbewerb beteiligen.

Die sehr aktuellen Einschätzungen gab Werner Patzelt in einem Interview mit dem Lokalsender FRM Fernsehen [3]. FRM steht für Fernsehen, Regional, Mittendrin. Der Sender ist im Gebiet Sächsische Schweiz bis Osterzgebirge tätig. Die Art der Fragestellung zeigte, dass sich die offen geäusserten politischen Meinungen in Sachsen von vielen Orten sonst in Deutschland ziemlich deutlich unterscheiden. Werner Patzelt war beim FRM Fernsehen schon öfter zu sehen. Wie immer bei einer Transkription behalte ich es mir vor, Satzstellungen zugunsten besserer Lesbarkeit leicht abzuändern. Dabei will ich den Inhalt der Aussagen aber keinesfalls verändern oder verfälschen.

Abschnitt (0:01 - 6:20)

(0:08) - Matthias Wagner

Herzlich Willkommen, liebe Zuschauerinnen, liebe Zuschauer, zu einem sagen wir mal Sommergespräch. An meiner Seite der Politikwissenschafter Prof. Dr. Werner Patzelt von der TU Dresden. Wir wollen wieder mal ein bisschen die politische Lage in Deutschland beleuchten. Unser letztes Gespräch ist schon einige Monate her, Herr Professor Patzelt. Da ging es noch darum: Bekommen wir eine GroKo (Grosse Regierungskoalition aus den Parteien CDU/CSU und SPD) oder bekomen wir keine? Bekommen wir eine Jamaika-Koalition (schwarz CDU/CSU, gelb FDP, grün Bündnis 90 / Die Grünen)? Wird es überhaupt keine Koalition geben? Und sie sagten bei diesem Interview: 'Sollte die GroKo sich wiederfinden und so weitermachen wie bisher, wird es ein Mästungsprogramm für die AfD werden.' Was sagen Sie jetzt, im Nachhinein?

(0:43) - Prof. Werner Patzelt
Genau so ist es gekommen und es war auch abzusehen. Denn, in der Grossen Koalition wird die CDU von der SPD auf genau jenem Kurs gehalten, welcher der CDU erhebliche Stimmenverluste an die AfD beschert hat und freilich auch die CSU heftig daran hindert, für die Union eine glaubwürdige Position aufzubauen. Obendrein ist das ein Kurs, der die Sozialdemokraten weiterhin zerreisst. Zwischen einerseits jenen an ihrer Spitze, dem Funktionärskorps. Die sagen, dass der Kurs der nachgerade bedingungslosen Offenheit, der Freude über ein Entstehen der multikulturellen Gesellschaft genau das ist, wofür die Sozialdemokraten immer stehen. Und andererseits zu jenen Kommunalpolitikern, einfachen Parteimitgliedern und insbesondere den Wählern. Bei denen scheint der Fall zu sein, dass die Ansicht vorherrscht, dass ein Sozialstaat die Grenzen eines Nationalstaates und eine Trennung zwischen Anspruchsberechtigten und nicht Anspruchsberechtigten braucht. Genau diese Leute stellen teils ihre Aktivität für die SPD ein und laufen anderenteils bei den Wahlen zur AfD und anderen über. Das ist, was absehbar war und so auch eintritt.

(1:53) - Matthias Wagner

Jetzt hat man sich in den letzten Wochen wahrlich ziemlich gefetzt zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU. Horst Seehofer (Bundesinnenminister, CSU) hat einen kleinen Machtkampf geprobt. War es wirklich nur eine Probe? War es wirklich nur Theater?

(2:06) - Prof. Werner Patzelt
Es war ein echter Machtkampf, bei dem es um die Glaubwürdigkeit der CSU im bayerischen Landtagswahlkampf (Wahl am 14. Oktober 2018) gegangen ist. Das war ein Streit, der in der Sache sehr wichtig gewesen ist. Jetzt hat aber die CSU einen grossen Teil der möglichen, für sie positiven Wirkung des Streits dadurch verspielt, dass sie sich nicht an den alten Grundsatz der Römer gehalten hat. Der besteht darin, dass man zwar in der Sache hart, in der Form aber weich und einladend sein muss. Die CSU hat das mit manchem Verbalradikalimus, also mit mancher Zuspitzung etwas weit getrieben und deswegen Federn gelassen, wo eigentlich viele gesagt haben, dass die CSU im Grunde schon etwas richtiges will.

(2:49) - Matthias Wagner

Die Bayern werden demnächst wählen. Wie glauben Sie? Die Zahlen stehen jetzt sehr seltsam da. Die absolute Mehrheit wie bisher ist für die CSU sowieso futsch. Die Grünen haben profitiert davon, wieso denn die Grünen?

(2:59) - Prof. Werner Patzelt
Das ist sehr leicht zu erklären. Angesichts dieses neuen gesellschaftlichen Grosskonflikts ist unter den Fragen

  • Wie soll es mit der Einwanderung weitergehen?
  • Braucht es so etwas wie Nationen?
  • Grenzt man ein Staatsgebiet und eine Solidargemeinschaft von Mitnutzen haben Wollenden ab?

Angesichts dessen vertreten einerseits die Grünen sehr klare Positionen:

  • Wir wollen Einwanderung für jeden, der auf der Welt irgendwo verfolgt ist.
  • Wir wollen niedrigschwellig sein bei der Zulassung ins Land.
  • Wir wollen grossherzig sein bei der Integration.
  • Wir wollen nach Möglichkeit nicht abschieben.

Die andere klare Position vertritt die AfD:

  • Wir wollen möglichst wenig Zuwanderung.
  • Wir wollen möglichst effektiv Rückführungen veranlassen.

Zwischen diesen beiden, in der Bevölkerung populären Positionen wird nun die etablierte Politik zermahlen. Die Position der Grünen ist insbesondere bei den akademisch gebildeten Schichten populär. Die der AfD eher bei den einfachen Leuten. Die Ergebnisse wird man in zehn Jahren bestimmt deutlicher sehen als heute. Aber die Erosion bei der SPD, ihre Verluste sowohl an die AfD wie auch an die Grünen sind unübersehbar. Und bei der Union sieht man genau das Gleiche.

(4:18) - Matthias Wagner

Wir müssen irgendwann einmal, so glaube ich, wieder zu einer Normalität zurückkommen, was 2014 möglich war. Ein gutes, friedliches Land, in dem man glaubte, alles lief, zerstreitet sich derzeit. Wir sind wirklich tief zerstritten, es zieht sich ein riesiger Graben durch Ost und West. Auch durch viele Familien, nur wegen des Themas Asyl. Wenn gerade die Grünen ein buntes Deutschland wollen oder ich darf einmal den Herrn Wolfgang Schäuble (Präsident des Deutschen Bundestages) zitieren [5]. Er sagte, dass Europa abgeschottet ohne die Flüchtlinge in Inzucht degenerieren würde. Dann fragt man sich wirklich, in welche Richtung es gehen soll. Es muss ja auch bezahlbar sein. Kann man nicht irgendwo einen goldenen Mittelweg einschlagen, so wie er früher war?

Anmerkung: Einen goldenen Mittelweg gab es wohl auch früher nicht, aber am einfachsten wäre es wohl, wenn sich der Staat gänzlich aus der Migrationspolitik verabschieden würde. Ansiedlung von Menschen aus dem (nicht-EU) Ausland sollte es nur auf private Einladung und private Verantwortung geben. Für Partnerschaften und Arbeitsaufenthalte, inklusive Vetorecht für staatliche Behörden. Asyl soll es nur bei nachgewiesener politischer Verfolgung geben. Sozialleistungen für die, die bereits +/- 5 Jahre Vollzeit oder hohe Pensen in Teilzeit gearbeitet haben. Alle anderen sozialstaatlichen Segnungen sollten verschwinden, vor allem die Möglichkeit, dass Menschen direkt in Sozialsysteme einwandern. Der subsidiäre Schutzstatus, den es unter einem veränderten System wohl auch noch geben würde, sollte sich unterhalb des Asylstatus einreihen und nur bei Kriegen gelten. Die Einreise ohne Papiere und ohne unmittelbar erfolgende, unmissverständliche Registrierung sollte verboten sein.

(5:00) - Prof. Werner Patzelt
Die Zeiten, in denen wir unser Land friedlich zu einem immer besseren machen konnten, zum Modell-Deutschland, zu einem Land, in dem wir alle gut und gerne leben, scheinen auf unabsehbare Zeit vorbei zu sein. Denn, die Migranten, die gekommen sind, werden nicht wieder gehen und sie werden sich in die Gesellschaft nur höchst unzulänglich integrieren. Wir beobachten, dass auch die dritte Generation von Migranten nicht so richtig im Lande integriert ist, sondern ganz im Gegenteil ihre Wurzeln neu entdeckt. Das heisst, auf die Dauer wird die deutsche Gesellschaft eine ethnisch zerrissene sein. Die ethnischen Konflikte werden sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit sozialen Konflikten verbinden. Auf der politischen Ebene wird erbarmungslos die Kritik an der Zuwanderungspolitik gleichgesetzt mit Rassismus und Faschismus. Sie wird also bekämpft. Infolgedessen wird sich unsere Gesellschaft immer weiter polarisiseren. Am Schluss werden AfD und Grüne die Hauptgewinner sein, die SPD wird zerfleddert sein und die Union wird erheblich Federn gelassen haben. In 10 Jahren wird man sich fragen, ob das wirklich so kommen musste. Die Antwort wird sein, dass es aufgrund von politischer Uneinsichtigkeit, von mangelndem Weitblick und von politischen Fehlern wohl so kommen musste. Wie bei einem Verkehrsunfall, den man eigentlich auch hätte vermeiden können.


[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_J_Patzelt
[2] PEGIDA – und wie ein Auto ins Brennen kam. wjpatzelt.de, 09. April 2017 http://wjpatzelt.de/2017/04/09/pegida-und-wie-ein-auto-ins-brennen-kam/
[3] FRM-Spezial: Prof. Werner Patzelt. frmfernsehen YouTube Kanal, 14. August 2018
[4] FRM-Spezial: Prof. Patzelt. frmfernsehen YouTube Kanal, 10. Januar 2018


[5] Wolfgang Schäuble - "Abschottung würde uns in Inzucht degenerieren lassen". Tagesspiegel, 08. Juni 2016 https://www.tagesspiegel.de/politik/wolfgang-schaeuble-abschottung-wuerde-uns-in-inzucht-degenerieren-lassen/13706442.html
Wörtliches Zitat von Wolfgang Schäuble: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputt machen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe. Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt. Schauen Sie sich doch mal die dritte Generation der Türken an, gerade auch die Frauen! Das ist doch ein enormes innovatorisches Potenzial!“


Bisherige Posts in der Rubrik «Politik».
Übersicht über alle Rubriken.

H2
H3
H4
3 columns
2 columns
1 column
7 Comments