Heute darf ich meinen Teil zu dem #wochenthema beisteuern und folge mit Freuden @tineschreibt `s Aufruf.
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Natürlich kenne ich das fiese Gesicht der Angst, wenn sie nach deinem Herz greift und du erstarrst. Wenn sie allen Raum einnimmt und in Finsternis hüllt, du nicht mehr atmen oder klar denken kannst. Ich kenne auch die soziale Angst der Ablehnung, welche sehr tief in uns allen verwurzelt ist. Wir verstehen von Geburt an, dass wir ohne Menschen die uns bedingungslos lieben, dem Tode geweiht sind. Da ist es völlig klar, dass wir alle Angst davor haben, abgelehnt oder verlassen zu werden.
Ich kenne noch eine andere Angst und mit ihr, führe ich eine Art Liebesbeziehung.
Es ist die Angst die dein Innerstes vibrieren lässt, die Angst die dein Herz vor Aufregung zum rasen bringt. Sie macht dich hellwach und holt dich ins Hier und Jetzt. Es ist die Angst, die dich lockt, dir verschmitzt zulächelt und dir sagt, »komm, folge mir, vertraue mir, ich zeig das schönste Leben dir.«
Seit ich denken kann, hat sie mich in ihren Bann geschlagen. Erregend, anziehend und voller Leidenschaft.
Ich muss euch gestehen, ich bin ein kleiner Adrenalinjunkie.
Schon als Kind war ich kaum zu bremsen. Ich kletterte in die höchsten Wipfel, fuhr ohne zu Bremsen den steilsten Abhang hinunter. Mit dem Snowboard ignorierte ich einfach das Absperrband für gefährliche Abhänge und raste über verbotene Pisten. Sagte man mir, geh da nicht hin, es ist zu gefährlich, habe ich es gemacht. Ich war ein ziemlich häufiger Gast auf der Notfallstation diverser Krankenhäuser. Aber selbst das fand ich irgendwie geil.
Ich liebte alles, was mich in diesen Zustand versetzte, was Herz und Hände zum Zittern brachte, was mir den Atem raubte und den »oh Gott ich will noch nicht sterben« Zustand auslöste.
Es bereitete mir diebische Freude, mich in heikle Lebenslage zu bringen, so bekam ich das Gefühl von Kontrolle und Macht. War eine solche Situation überstanden, fühlte ich mich großartig, unbesigbar. Adrenalin und Endorphine feierten eine Party und ich war federleicht und voller Leben. Immer wenn ich mich leer und innerlich tot fühlte, zog ich los und brachte mich in Gefahr. Dabei war es mir egal, ob ich etwas Lebensbedrohliches tat oder etwas, was für mich gesellschaftlich eine Bedrohung war wie Klauen, Lügen oder Einbrechen.
Was ich als Kind unkontrolliert auslebte, habe ich heute besser im Griff. Ich habe meine Lösungen gefunden, wie ich mir den Kick holen kann, ohne im Gefängnis oder im Sarg zu landen.
Und doch brauche ich das Gefühl nach wie vor.
Ich ertrage das Leben nicht ohne den Kick, ohne eine gewisse Unsicherheit und Aufregung. Ruhe, Zufriedenheit und Stabilität, fühle sich für mich nur in sehr kleinen Dosen gut an. Hält dieser Zustand zu lange an, und damit meine ich schon mehrere Monte, habe ich den Eindruck, innerlich zu verbrennen, vor Langeweile. Ich nenne diesen Zustand den kleine Tod.
Gefährliche Situationen sind für mich wie Sex. Sie bereiten mir Lust und danach fühle ich mich befriedigt und zufrieden. Wo Andere sagen, oh Gott das war schrecklich, so etwas will ich nie wieder erleben, kribbelt es mir in den Fingern und ich denke, das war der Hammer!
Ich habe mir tatsächlich irgendwann die Frage gestellt, was stimmt mit mir da nicht?
Warum mische ich mich in Situationen ein, in denen Männer mit Waffen aufeinander losgehen, warum klettere ich in einsturzgefährdete verlassene Häuser, wieso steh ich auf eine gewisse Art von Schmerz, warum muss ich immer Dramen inszenieren? Und wieso fühle ich mich so verdammt unwohl, wenn all das wegfällt?
Klar ist, manche Menschen sind süchtig nach diesen körpereigenen Drogen und diese Sucht kann ziemlich gefährlich enden, wenn man die Sehnsucht danach nicht in halbwegs akzeptable Bahnen lenken kann.
Wusstet ihr, dass es dafür sogar einen Fachbegriff gibt?
Ne, nicht Adrenalinjunkie, man nennt so jemanden einen Kontraphobiker.
Ein Mensch, der immer davon getrieben ist, sich selbst in die nächste Gefährliche, angstgesteuerte Lage zu bringen, weil er sich ohne diese extremen Höhen und Tiefen nicht mehr lebendig fühlen kann. Ein kontraphobisches Verhalten an sich, ist nicht negativ zu Werten. Menschen, die sich primär ihrer Angst stellen, sind glücklicher und haben mehr Erfolg im Leben.