Projekt Angst - Angst vor dem Axtmörder


Angst vor dem Axtmörder 


Ängste sind meist etwas Diffuses. Wir können sie manchmal nur schwer als solche begreifen, wenn sie uns auf die Pelle rücken. Und es gibt gefühlt unzählige Arten sich zu ängstigen. Ein paar meiner Ängste finde ich selbst schon irgendwie lustig – natürlich von außen betrachtet. In einer angsteinflößenden Situation habe ich diese Distanz zu meinen Gefühlen nicht. 

Da ist zum Beispiel die ab und zu wiederkehrende Angst vor Dunkelheit. In meiner Kindheit war diese Angst sehr stark ausgeprägt, aber so geht es vermutlich den meisten Kindern. Wer kennt das nicht, dass die Eltern abends vor dem Schlafengehen die Tür des Kinderzimmers einen Spalt offenlassen mussten, damit das Licht aus dem Wohnzimmer noch zu sehen war und wir beruhigt einschlafen konnten? Das ist heute natürlich schon lange nicht mehr so, für mich kann es inzwischen gar nicht dunkel genug sein, jede Lichtquelle nervt beim Schlafen. Aber aus Ängsten können wir herauswachsen – sobald wir nämlich merken, dass sie unbegründet sind. Mama und Papa waren am nächsten Morgen immer noch da und die Monster unter dem Bett hatten mir über Nacht auch nicht die Zehen angeknabbert. Rückblickend stellt sich ein liebevoller Blick auf diese Angst ein, denn sie erinnert mich an unschuldigere Zeiten.  

Wenn mich Dunkelheit im Erwachsenenalter ab und an in Bedrängnis führt, lauern vor meinem geistigen Auge andere Gestalten in den Schatten. Keine flauschigen Monster-AG-Monster, die mich zum Lachen bringen wollen, sondern böse Männer, die mir etwas antun wollen. Wäre ja bestimmt nicht das erste Mal, dass einer jungen Frau so etwas zustößt, oder? Diese Angst überkommt mich allerdings nicht oft. Und nur ab und zu, wenn ich nachts allein auf der Straße unterwegs bin und mich irgendein vorangegangener Kontext verunsichert hat, wie beispielsweise ein sehr ernstes Gesprächsthema mit einer Freundin. Oder Zuhause, wenn ich einen Film gesehen habe, der mich aufwühlt oder gruselt. Aber solche Filme schaue ich aus diesen Gründen nicht sehr häufig, daher kann ich auch auf die erwachsene Ausgabe der völlig unbegründeten Angst vor Dunkelheit mit einem lachenden Auge schauen.  

Ich muss genauso über mich selber lachen, wenn ich mich davor fürchte, alleine einzuschlafen, wenn mein Freund einmal nicht da ist. Das ist echt verrückt. Während dem Studium habe ich über drei Jahre lang alleine gewohnt und da haben mir die vielen Nächte, in denen ich mein Bett ganz für mich hatte, überhaupt nichts ausgemacht. Ganz im Gegenteil, ich habe mich in meiner kleinen Einzimmerwohnung im Vorstadtghetto unheimlich wohl gefühlt. Also was will mir diese Angst heute sagen, die mich manchmal dazu zwingt, vor dem Einschlafen das Licht anzuschalten? Wieso gehen die Pferde mit mir durch, wenn ich vermeintliche nachbarschaftliche, nächtliche Geräusche nicht gleich einordnen kann? Warum rechne ich mit einem Einbrecher, der mitbekommen hat, dass mein Freund nicht Zuhause ist und die Gelegenheit nutzt, mich zu überwältigen – obwohl das im ersten Stock und mit Sicherheitstür eher unwahrscheinlich ist? Und wenn tatsächlich einer versuchen würde bei uns einzubrechen, wäre das mit leisen Anschleichen im Schlafzimmer kaum möglich, sondern nur mit viel und auffälligem Lärm an Fenstern und Türen. Also eigentlich eine total rationale Sache, wenn man mal genauer darüber nachdenkt.  

Das ganze Gedankenspektakel habe ich vermutlich den vielen CIA-Filmen und -Serien zu verdanken, in denen der Bösewicht immer schon in der Wohnung auf das Opfer wartet, in die er sich zuvor trotz Sicherheitsschloss und Alarmanlage mit Leichtigkeit Zugang verschafft hat. Und seitdem ich mit meinem Freund zusammenwohne, schaue ich deutlich mehr von diesem Genre. – Moment, sind wir hier gerade Kausalität auf die Schliche gekommen? Gut möglich. Einen klitzekleinen Anteil an meiner Angst tragen aber sicherlich auch noch ein paar merkwürdige Bewohner in meinem Großstadtvorörtchen bei, die – ich konnte meinen Augen kaum trauen – erstens eine Axt besitzen und zweitens regelmäßig damit Holz hacken. Bitte was? Also sorry, Leute, aber wenn ihr solche Nachbarn habt, schaut ihr euch auf deinem Nachhauseweg automatisch zwei Mal bei jedem Knacken um, oder?  

Und ausgerechnet in dem Haus gegenüber wohnt so ein Axtbesitzer, den ich liebevoll den „Axtmörder“ getauft habe. Menschen mit einer Axt sind mir suspekt. Letzte Woche hat dieser Mann an vier Nachmittagen hintereinander Holz gehackt – oder Schädel oder Unterschenkelknochen, wer weiß das schon so genau? Ich konnte ihm von meinem Wohnzimmerfenster aus dabei beobachten. Was sollte das? An vier Nachmittagen hintereinander? Sollte das eine Warnung an mich sein? Ich erzählte sofort meinem Freund in einer WhatsApp-Nachricht davon. Wisst ihr, was er darauf antwortete? Mein Freund meinte, dass unser Nachbar vielleicht auch einfach mit mir flirtete, sich im nächsten Moment sein Holzfällerhemd vom Oberkörper reißt und dabei eine eisgekühlte Cola Light trinkt. 

Ihr merkt schon, ich treibe mit meinen Ängsten auch so meine Späßchen. Denn nicht anders sollte man ihnen in meinen Augen begegnen: mit Humor. Vor allem je irrationaler und unbegründeter sie sind. Denn im Grunde fürchte ich mich ja nicht wirklich. Nur manchmal frage ich mich, ob ich mich nicht etwas zu sicher fühle. Und allein diese Frage ist schon total bescheuert und die Ausgeburt von zu viel medial vermittelter Angstmacherei. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Menschen, die mehr Krimis schauen, gleichzeitig auch glauben, dass die Kriminalität viel höher ist, als sie in Wirklichkeit ist. Meine Eltern sind der lebende Beweis dafür. Die wollten mir früher einreden, dass ich nicht so viel über die Felder joggen sollte, weil eines Tages ein Mann im Maisfeld auf mich warten und mich hineinziehen könnte. Und jetzt dürft ihr mal raten, wie oft genau das in den 16 Jahren, die ich nun schon über Äcker laufe, vorgekommen ist! Nicht. Ein. Einziges. Mal. Warum auch? Weil dieses Szenario, dass jemand nichts Besseres zu tun hat, als den ganzen Tag in einem Maisfeld zu stehen und darauf zu warten, dass vielleicht mal ein Mensch vorbeiläuft, unwahrscheinlicher ist, als von einem Fremden nachts auf dem Nachhauseweg überfallen zu werden. 

Ängste sind oft ziemlich absurd und können von außen betrachtet auch sehr lustig sein. Wenn man es schafft, sich genau das vor Augen zu führen und vor allem über sich selbst zu lachen kann, nimmt das der Angst die Macht, die sie über einen selbst haben kann. Das ist natürlich nicht bei jeder Angst möglich und manchmal leichter gesagt als getan. Das weiß ich. Ich will schwerwiegende und begründete Ängste auch gar nicht klein reden oder so tun, als ob diese nicht ernst zu nehmen wären. Denn Ängste wollen einem immer etwas Wichtiges sagen und sollten daher genauer angeschaut werden. Auch ich habe noch ein paar Brocken im Keller meines Unterbewusstseins hocken, die ich nicht aufgearbeitet bekomme. Aber ich denke auch, dass jeder ein paar kleine unnötige Ängste mit sich herumträgt, über die es sich lohnt, einmal herzhaft zu lachen. Oder was meint ihr?  

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