In einem meiner früheren Texte habe ich die These aufgestellt, dass wir Medien nutzen, weil wir Rituale brauchen. Dieses Thema lässt mich nicht mehr los, weil es einfach zu wichtig ist. Ich vermute, dass wir ohne Medien die Verbindung zu unseren menschlichen Wurzeln verlieren würden.
Wir leben heute in einer Gesellschaft ohne feste Verknüpfungen und ohne feste Verpflichtungen. Natürlich gibt es weiterhin Notwendigkeiten, aber im Laufe der Jahrhunderte sind diese immer loser geworden und heute sind sie weniger strikt und schwerer vorhersagbar als früher.
Ein weiterer großer Unterschied ist die schiere Größe unserer Gesellschaft. In der Vorzeit lebten wir in Gemeinschaften, die eine Größe von 100 Menschen nicht überstiegen. In unserer heutigen Gesellschaft sind wir von weitaus mehr Menschen umgeben. Auch wenn wir nicht permanent Kontakt zu ihnen haben, sind sie doch da und beeinflussen uns auf die eine oder andere Weise.
Die Macht der Medien und ihre eigentliche Aufgabe werden besonders dort deutlich, wo sie Menschen, die nur eine lose Verbindung zueinander haben, wieder vereinen. Dafür gibt es zahlreiche bekannte und weniger bekannte Beispiele. Ich denke da vor allem an Solokünstler wie Michael Jackson, die einen großen Einfluss auf mehrere Generationen hatten und eine Botschaft der Liebe verbreiteten.
Manchmal beeinflussen solche charismatischen Solokünstler sogar ganz konkrete Ereignisse. Etwa James Brown und Sixto Rodriguez. James Brown, der 24 Stunden nach der Ermordung Martin Luther Kings bei einem Konzert die ‚Macht‘ und Ausstrahlung besaß, die Massen zu besänftigen und sie von einem Aufstand abzuhalten. Sixto Rodriguez, der mit seinen Alben „Cold fact“ und „Coming from reality“ die Anti-Apartheid-Bewegung in Südafrika dazu inspirierte, gegen das Establishment zu kämpfen.
Das waren alles zwar große, aber eben auch nur einzelne Ereignisse, die eine größere Gruppe betrafen. Dem individuellen, kleinen Kreis sind besonders die Rituale vertraut, die in Verbindung mit Leben und Tod stehen und häufig auch mit der Kirche verknüpft sind – so wie die Beerdigung. Sie ist eines der eindrucksvollsten Rituale, das wir haben, da die Angehörigen des Toten mit ihm zusammen an der Schwelle zwischen Leben und Tod stehen. Für einen Moment überbrücken wir unsere irdische und die überirdischen Welt. Oder für die, die nicht an ein Jenseits glauben: unsere vom Alltag beseelten Gedanken mit unseren darüber bzw. dahinter liegenden Idealen und Werten.
Wenn es diesen „individuellen, kleinen Kreis“ (die Familie) gerade nicht gibt und uns diese Rituale folglich auch nicht zur Verfügung stehen, kommen die Medien ins Spiel. Hier wirken Persönlichkeiten mit einem ausstrahlenden, wegweisenden Charakter. Hegel schrieb über sie, dass in ihnen der ‚Weltgeist‘ zum Ausdruck komme.
Man muss aber nicht unbedingt den idealistischen und schwer zugänglichen Weg gehen, den Hegel in seinen Werken (hier: seine Geschichtsphilosophie) vor uns ausbreitet, um diesen Zusammenhang zu verstehen. Man muss sich nur ansehen, welchen Einfluss Serien wie Star Trek (gemeint sind alle Franchises, also The Original Series, The Next Generation usw.) Jahrzehnte nach ihrer letzten Ausstrahlung noch auf die Menschen haben. Sie sind das verbindende Glied in einer Kette von Menschen, die andernfalls isoliert wären. Die Schauspielerin Gates McFadden etwa sagt, dass es Waisenkinder gibt, die ihr berichteten, dass sie sie in ihrer Rolle als Dr. Beverly Crusher als Mutterfigur betrachteten. Andere Schauspieler des Franchise‘ sagen Ähnliches.
Es wäre vermutlich vorschnell zu behaupten, Medien würden uns stets einen Weg aus der Entfremdung bieten. Ich verstehe sie eher als Brücke zwischen Menschen, indem sie eine verloren gegangene Verbindung wiederherstellen. Sie sind aber nicht selbst diese Verbindung. Das können nur wir selbst sein, wenn wir uns dazu entschließen, das, was uns voneinander trennt, zu ignorieren und wieder unserer inneren Stimme zu folgen.
Und damit sind wir bei einem Thema, das mich momentan sehr bewegt: Echter Mehrwert entsteht durch Kooperation. Nichts ist heutzutage wichtiger als die Kraft und die Möglichkeit zu schätzen, die von einer Zusammenarbeit ausgehen.
Eure Nerdine @antikesdenken
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