Politik 095 - Wer hat versagt, wenn es in D tatsächlich so viele Nazis gibt wie behauptet?

31. August 2018

Gegenwärtig wird in Deutschland wieder andauernd über sogenannte Nazis geschrieben, die sich vorwiegend in einer sächsischen Stadt offen auf der Strasse herumtreiben sollen. Und es wird davor gewarnt und die Angst geschürt, dass diese Nazis womöglich eine Art Faustrecht in ihrem Sinne etablieren könnten. Darum soll es in diesem Artikel aber nur am Rande gehen, da ich den Vorkommnissen in Chemnitz bereits viel Aufmerksamkeit geschenkt habe [1-3].

Ein ganz wichtiges Fazit aus diesen Ereignissen ist einmal mehr, dass Vertrauen in die meisten etablierten Medien und Politiker eine schlechte Investition ist, da diese aus meiner Sicht entweder gar nichts begriffen haben oder in Deutschland unbedingt einen grösseren Konflikt voranbringen wollen. Anders lässt es sich nämlich kaum erklären, dass kaum je auf die Ursachen von Phänomenen und möglicherweise unerwünschten Entwicklungen eingegangen wird, aber bei jeder neuen Auswirkung ein grosser Lärm veranstaltet und so getan wird, als könne man an dem Geschehenen noch etwas ändern. Dies ist aber unmöglich und schon seit Jahrtausenden so bekannt. Somit lässt sich aus dieser Berichterstattung gar nichts lernen und sie gehört auf stumm geschaltet oder gelesen, überdacht und abgelehnt.

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Das Neue Rathaus Chemnitz ist der Amtssitz des Bürgermeisters und der Hauptsitz der Stadtverwaltung Chemnitz [10]. Erbaut wurde das Neue Rathaus von 1907 bis 1911 nach Plänen des Stadtbaurates Richard Möbius.

Wenn man sich mit der Instrumentalisierung von Geschehnissen begnügt und stets irgendwelche anderen die Verantwortung tragen sollen, die Bildungsfernen, die Wutbürger, die Rechten oder die Nazis, dann wirkt das für Aussenstehende wie mich sehr seltsam. Denn erst einmal müsste man verstehen, warum es diese Anderen überhaupt gibt. Meist hat das mehr mit den eigenen Taten zu tun als einem lieb sein kann.

Ganz besonders fragwürdig ist das bei den Nazis [4]. Der Begriff Nazi ist die Kurzform von Nationalsozialist, wobei der Begriff bereits am Anfang des 20. Jahrhunderts für die Mitglieder des Nationalsozialen Vereins (NSV) [5] verwendet wurde, einer Partei im Deutschen Kaiserreich, die von 1896 bis 1903 existierte. Für die Anhänger der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), die von 1933 bis 1945 im Deutschen Reich herrschte, wurde der Begriff wohl von Kurt Tucholsky (1890-1935) [6] erstmals 1923 erwähnt. Warum sich der Begriff Nazi gegenüber dem naheliegenderen Naso durchsetzen konnte, ist mir nicht bekannt, möglicherweise, weil Nazi einfach schärfer und aggressiver klingt.

Wie wohl allgemein bekannt ist, hat die Nationalsozialistische Diktatur über das Deutsche Reich zu einem ganz kurzen Aufschwung geführt. Dieser war aber keineswegs nachhaltig, insbesondere auch aufgrund des plan- und kommandowirtschaftlichen Systems. Und als sich das bemerkbar machte, war den machthabenden Nationalsozialisten gänzlich klar, wer an diesen Entwicklungen wie auch an der Wirtschaftskrise zuvor Schuld sein musste. Zunächst ganz sicher nicht sie selbst, womit schon ganz klar erwiesen ist, dass es sich bei den Nationalsozialisten nicht um anständige Menschen handeln konnte. Anständige Menschen suchen den Fehler nämlich zuerst bei sich selbst und erst dann bei anderen, wenn sie sich selbst als Fehlerquelle ausschliessen können. Im gymnasialen Geschichtsunterricht in der Schweiz wurde mir dazu ein ganz einfaches Bild vermittelt, das sogenannte Nazi-Dreieck. Dieses besteht aus den drei Eigenschaften Nazi, anständig und intelligent, wobei ein Mensch nur zwei der drei Eigenschaften gleichzeitig auf sich vereinen konnte.

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Das Nazi-Dreieck aus drei Eigenschaften Nazi, anständig und intelligent, von denen ein Mensch nur zwei gleichzeitig auf sich vereinen kann. Wer gleichzeitig anständig und intelligent ist, kann kein Nazi sein. Wer Nazi und anständig ist, ist nicht intelligent und wer Nazi und intelligent ist, muss gleichzeitig nicht anständig sein. Nicht anständig liest sich angesichts der geschehenen Verbrechen wohl etwas harmlos, aber auch Schwerstverbrecher gehören in diese Kategorie.

Mit den aus Sicht der Nazis bekannten Schuldigen, Juden, politischen Gegnern und weiteren gingen die nationalsozialistischen Machthaber äusserst brutal um. Sie verfolgten, inhaftierten und töteten sie ohne grössere Skrupel. Die Anzahl Mitarbeiter der dafür zuständigen Geheimen Staatspolizei (GeStaPo) [7] wuchs über die Existenz des Dritten Reiches beständig.

JahrAnzahl Mitarbeiter der GeStaPo [7]
1933< 50
1935ca. 4'200
1937ca. 7'000
194114'835 (4'000 im Ausland)
194531'000

Die nationalsozialistische Diktatur, die nicht nur im Ausland, sondern auch in Deutschland selbst einen riesigen, unentschuldbaren Schaden angerichtet hat, hielt es über den Wahnsinn im Inneren hinaus auch für nötig, durch Kriege zu expandieren. Der geballten, alliierten Macht aus dem Vereinigten Königreich Grossbritannien, den Vereinigten Staaten von Amerika, der Sowjetunion und den weiteren Verbündeten konnte man sich aber nicht erwehren und es kam zum schlimmsten Zusammenbruch Deutschlands. Und gerade deswegen, wegen der vernichtenden Niederlage, kann man aus meiner Sicht als Deutscher mit einem Hauch vorhandener Vernunft und der Fähigkeit die Realität zu erkennen kein bisschen Sympathie für die Diktatur von 1933 bis 1945 hegen.

Deswegen hat man in Deutschland nach dem Krieg auch auf Druck der alliierten Besatzungsmächte erkannt, dass es ein Regime im Stile der nationalsozialistischen Diktatur auf deutschem Boden nie mehr geben darf. Dazu wurden umfassende Massnahmen ergriffen, die Geschichte bis ins Detail äusserst selbstkritisch aufgearbeitet und gerade im Geschichtsunterricht, den jedes deutsche Kind geniesst, wird die Zeit des Nationalsozialismus ausführlichst behandelt. So dass eigentlich jeder erkennen müsste, dass die nationalsozialistische Ideologie eine untaugliche ist, mindestens wenn man davon überzeugt ist, dass der Schulbesuch sinnvoll und tatsächlich Bildungsinhalte zu vermitteln imstande ist.

Stattdessen scheint sich der Nazi-Begriff zu einem vulgären Beschimpfungsbegriff entwickelt zu haben, den man vonseiten etablierter Politik und Medien jedem entgegenschleudert, der Ansichten vertritt, die diesen selbsternannten Eliten nicht gefallen. Unabhängig davon, ob diese Ansichten wohlüberlegt sind oder nicht, ob sie einfältig-reaktionär oder raffiniert und sogar freiheitlich-eigenverantwortlich sind, wenn sie nicht gefallen gibt es dafür das Nazi-Etikett. Ist das nicht etwas zu einfältig und intellektuell auf einem etwas zu profanen Niveau für sogenannte Eliten? Damit bewegt man sich mindestens aus meiner Sicht international auf einer absolut nicht konkurrenzfähigen Ebene. Und es gibt eigentlich keinen triftigen Grund, den Diskurs in diese Niederungen zu verschieben, es sei denn, man hat keine positive Vision mehr für das Land und will mehr Konflikte entstehen lassen. Bei der Jugendplattform des Spiegels, Bento, ist unter dem ursprünglichen Titel Chemnitz: Fünf Ideen, wie jeder gegen Nazis laut werden kann [8] ein Artikel erschienen. Es geht also darum, laut und gegen Nazis zu sein, nicht darum, einfach vernünftig, überlegt, friedlich und produktiv zu sein und deswegen weit weg von totalitären Fantasien und Fanatismus. Im Artikel wird eine Initiative namens kein Bock auf Nazis erwähnt, die in ihrem Logo gross und unverkennbar die sozialistisch-revolutionäre Faust präsentiert. Eine vorzügliche Alternative, nicht? Woher der Ausdruck "Bock haben" im Sinne von auf etwas Lust haben kommt, ist mir nicht bekannt [9], er entstand wohl in den 1970er Jahren in der Jugendsprache.

Man wirkt auf diese Weise nur noch wenig besser als Länder wie Venezuela und Simbabwe, die ihren Sozialismus in keiner Weise als Ursache für ihren Niedergang erkennen wollen, sondern stets sinistre Pläne von Saboteuren und Zersetzern im Dienste fremder Geheimdienste als Ursachen propagieren. Diese mag es sogar geben und sie können auch neue Bewegungen anschieben, aber sie sind niemals stärker als eine schlechte Rechts- und Gesetzeslage. Die Verbreitung von Verschwörungstheorien statt demütiger Selbsterkenntnis oder die pauschale Beschuldigung von anderen anstelle der Wahrnehmung der vorhandenen eigenen Verantwortung sind Konzepte für den eigenen Niedergang, nicht für den Aufstieg. Ich halte es für reichlich billig, wenn man seine Existenz nicht mit einer positiven Vision und einem positiven Plan begründen kann, sondern lediglich mit der Existenz eines möglicherweise konstruierten oder echten Feindes.

Wenn es heute in Deutschland ein echtes Problem mit Leuten gibt, die tatsächlich eine nationalsozialistische Diktatur errichten wollen, ist das somit in erster Linie ein Zertifikat des Versagens für die Vermittlungsfähigkeit des Bildungssystems, der Politik und Medien. Da muss ein Umdenken stattfinden und viel mehr auf die Untauglichkeit eines solchen Systems hingewiesen werden und auf die giftige Rolle, die ein zu mächtiger und sich selbst verherrlichender Staatsapparat zu spielen imstande ist. Es wäre möglich, sich von diesem alten Unsinn zu emanzipieren und sich der vernünftigen Gestaltung einer positiven Zukunft zu widmen. Dazu gehörte es absolut, die Bürger weitgehend in die Eigenverantwortung und Freiheit zu entlassen. Aber anstelle dies zu tun, sich von diesem Nazi-Quatsch ein für alle Mal zu lösen und diesen umfassendst nachgewiesenen Unsinn endlich zu begraben, übt man sich weiterhin in einer kräfteraubenden und völlig sinnfreien Nazi vs. Anti-Nazi Dialektik, die ich für eine Beleidigung jeglicher menschlicher Intelligenz halte. Rechts und Links beinhalten aktuell den dialektischen Gegensatz zwischen nationalem und internationalem Sozialismus, beides aus meiner Sicht erwiesen unvernünftige Positionen.

Die Vernunft hat dort eigentlich kaum einen Platz, sondern sie findet sich in Positionen, die auf dieser eindimensionalen Skala gar nicht abzubilden sind. Die Vernunft befindet sich aus freiheitlicher, wirtschaftsliberaler und eigenverantwortlicher Sicht im Nicht-Sozialismus, im Nicht-Nazitum, im Nicht-Faschismus, im Nicht-Rassismus und Nicht-Antisemitismus. In strikt dualen Weltbildern, die nur pro- und anti- kennen, findet das aber nicht einmal statt. Ist das nicht beschämend? Beschämend ist das für eine sich als kulturell hochstehend bezeichnende Nation und damit eingeschlossen den ganzen deutschen Sprachraum. Ich habe mich selbst schon da und dort darum bemüht, mich mit Deutschen über die Zeit von 1933 bis 1945 zu unterhalten. Den meisten war das spürbar unangenehm, weil sie wohl das Gefühl hatten, möglicherweise etwas Falsches zu sagen. Die Aussage, dass sie mit diesem totalitären Wahnsinn und Fanatismus einfach nichts zu tun haben wollen und erkannt haben, was dazu führt, habe ich leider nur selten zu hören bekommen.

Sich heute selbst zu einem Nazi zu erklären und einen weiteren Versuch dieser Art von Sonderweg in Europa zu gehen zu versuchen, lässt sich nicht vernünftig erklären, da sich im Ausland mit Sicherheit grosser Unmut breitmachen würde. Das gleiche Ergebnis würde aber auch herauskommen, wenn Deutschland unter anderen Vorzeichen und mit anderen Absichten versuchen würde, weltpolitisch grössere Macht zu erlangen. Diese Politik machen aus Europa heraus traditionell die Franzosen und Briten und sie lassen sich höchstens sehr ungern herausfordern und das sollte anerkannt werden. Dort ist nicht Deutschlands Platz.


Diesen Text kann man sich auch vorgelesen als Video ansehen, auf der Plattform BitTube [11]. Dorthin gelangt man durch einen Klick auf das unten angefügte Bild oder auf den unter [11] zu sehenden Link.

2018-08 - Nazis in D Video.png



[1] Politik 092 - Kommentar zu den Ereignissen in Chemnitz. @saamychristen, 28. August 2018 @saamychristen/politik-092-kommentar-zu-den-ereignissen-in-chemnitz
[2] Politik 093 - Einschätzungen von Prof. Werner Patzelt zu den Ereignissen in Chemnitz. @saamychristen, 28. August 2018 @saamychristen/politik-093-einschaetzungen-von-prof-werner-patzelt-zu-den-ereignissen-in-chemnitz
[3] Politik 094 - Pippi-Langstrumpf-Kollektivismus - Ein Beispiel. @saamychristen, 29. August 2018 @saamychristen/politik-094-pippi-langstrumpf-kollektivismus-ein-beispiel
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Nazi
http://www.sprachauskunft-vechta.de/woerter/nazi.htm
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalsozialer_Verein
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Kurt_Tucholsky
[7] https://de.wikipedia.org/wiki/Gestapo
[8] Gerechtigkeit - Nach Chemnitz: Fünf Ideen, was jeder gegen Nazis tun kann. bento.de, 29. August 2018, von Leonie Hallet https://www.bento.de/politik/chemnitz-fuenf-ideen-wie-jeder-gegen-nazis-laut-werden-kann-a-23cbc059-200d-44e7-afd5-5f13396bb517
[9] https://www.redensarten-index.de/suche.php?suchbegriff=~~Bock%20haben&suchspalte%5B%5D=rart_ou
[10] Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert. Urheber ist der Benutzer Rolf 41. Gefunden wurde die Datei unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Chemnitz
[11] BitTube 002 - Politik 095. saamychristen BitTube Kanal, 02. September 2018 https://bit.tube/play?hash=QmZJHkuQ42K4qpG6kD4pq78FzRe3MwEkA5r3Zg4mboriBC&channel=59664


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